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Die Dreiminutenterrine

28.08.2007
Taiwan ist der zwölftgrößte Fertignudelmarkt der Welt-jeder Taiwaner verzehrt im Schnitt rund 40 Portionen pro Jahr.

Fertignudelhersteller setzen auf Innovation, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Dass Menschen sich in Taiwan übers Essen beklagen, ist selten, denn bei der riesigen Auswahl findet sich eigentlich selbst für den eigenwilligsten Geschmack etwas. Diese Vielfalt gilt auch für so etwas Bescheidenes wie Fertignudeln. In jedem Lebensmittelgeschäft findet man mindestens ein Dutzend verschiedener Geschmacksrichtungen im Angebot, und in Supermärkten ist die Auswahl geradezu verwirrend.

Laut Statistiken des Herstellerverbandes International Ramen Manufacturers Association ist Taiwan der zwölftgrößte Fertignudelmarkt der Welt, mit einem Wert von jährlich 10 Milliarden NT$ (222 Millionen Euro). Das wiederum bedeutet insgesamt 900 Millionen Packungen im Jahr, oder 40 pro Person.

Nach den Schätzungen von Lee Chin-chun, der als Inventurmanager für eine Supermarktkette arbeitet, liegen mindestens hundert einheimische Produkte und daneben noch Importware aus Japan, Korea und Europa in den Regalen von Taiwans Läden. "Junge Leute sind eher bereit, ausländische Geschmacksrichtungen auszuprobieren, doch die meisten Menschen bevorzugen einheimische Produkte, die 90 bis 95 Prozent unseres Absatzes ausmachen", berichtet er. "An Feiertagen nimmt der Verbrauch zu, da die Menschen Fertignudeln bei religiösen Zeremonien verwenden, und natürlich vor Taifunen, auch wenn es sonst eigentlich keine klaren Spitzensaisons oder Flauteperioden gibt."

Während die Geschmacksrichtungen außerordentlich vielfältig wurden, hat es bei Verpackung gleichfalls keinen Stillstand gegeben. Am üblichsten ist die bunt verzierte Plastikverpackung. Da diese ohne Schale oder Essstäbchen verkauft wird, ist sie für Kunden ohne Zugang zu Geschirr und Besteck nicht ganz so bequem. Daher gibt es Produkte, die in große Styroporschalen eingepackt sind, mit mehr Nudeln, Gemüse und Fleisch -- ein echtes Fertiggericht. Und am anderen Ende des Spektrums gibt es kleinere, biologisch abbaubare Papierbecher mit weiblichen Kunden als Zielgruppe. Fertignudeln in Plastikfolie machen derzeit etwa die Hälfte der Verkäufe aus, die Varianten in Styroporschalen und Papierbechern teilen sich den Rest.

Vor vierzig Jahren war alles viel überschaubarer, als eine kleine Nahrungsmittelfirma in Taipeh japanisches Knowhow hereinbrachte und 1967 mit der Vermarktung der ersten taiwanischen Fertignudeln begann, Shengli Noodles. Bei einem Preis von 2 NT$ pro Packung (damals ungefähr 5 amerikanische Cents) war das keine besonders billige Speise. Die erste Lieferung kam bei den Kunden nicht gut an, doch die Lage wandelte sich, nachdem das japanische Originalrezept abgeändert wurde. Der sich anschließende Erfolg der Shengli Noodles rief andere Hersteller auf den Plan. Anfang der siebziger Jahre gab es dann schon über 20 Fertignudel-Hersteller.

Die Produkte selbst hingegen blieben schlicht. Eingepackt in Cellophan wurden wenige Geschmacksrichtungen feilgeboten. Viele dieser alten Produkte, einschließlich Shengli Noodles, sind nicht mehr auf dem Markt, andere konnten ihre Beliebtheit über die Jahre beibehalten. So produziert etwa die Ve Wong Corp. auch heute noch die Produktlinie Prince Noodles, die 1970 Premiere hatte.

Ein Grund für den anhaltenden Erfolg von Prince ist, dass es sich dabei nicht einfach nur um Nudeln handelt. Fügt man kochendes Wasser, den Aromabeutel mit dem künstlichen Geschmacksverstärker Monosodiumglutamat (MSG) und getrocknete grüne Zwiebeln hinzu, hat man eine Schale Nudelsuppe. Man kann es aber auch trocken knabbern als knusprigen Snack. Es ist nicht bekannt, wer die Nudeln erstmals auf diese Weise verzehrte, aber die meisten Leute um die vierzig werden sich erinnern, wie sie eine Packung Prince zerbröselten und die knackigen Bruchstücke roh verschlangen, ohne Sauce oder Gewürze. Zwar blieben die guten alten Prince-Nudeln unverändert, doch Ve Wong fügte im Jahre 2003 mehr Geschmacksrichtungen in kleineren Packungen hinzu und schuf damit die Little Prince Instant Snack Noodles. Little Prince ist bei Grundschulkindern mindestens so beliebt wie sein großer Bruder, auch wenn es im Snackgewerbe viel Konkurrenz gibt.

Die Schweinehacknudeln von Uni-President sind ein weiterer zeitloser Verkaufsschlager. Der Uni-President-Konzern lernte die Herstellung von Fertignudeln gleichfalls in Japan und begann 1970 mit dem Vertrieb der Uni-President Noodles. Ein Jahr lang lief der Absatz schleppend. Dann fiel dem geschäftsführenden Manager der Firma während eines Geschäftsessens in Tainan auf, dass das Restaurant mit dem wunderbaren Duft von Danzih-Nudeln nach Tainan-Art erfüllt war. Da kam ihm die Idee, Fertignudeln mit eben diesem Aroma herzustellen. Nach mehreren Monaten Forschung kamen 1971 die Uni-President Minced Pork Noodles auf den Markt. Nach den Worten von Wu Kun-lin, Manager der Nahrungsmittelherstellungs-Tochterunternehmen von Uni-President, war die neue Produktlinie Taiwans erstes Nudelprodukt mit einem Aromabeutel auf Speiseölgrundlage und auch das erste entsprechende Produkt mit Fernsehwerbung. Seitdem sind die Schweinehacknudeln von Uni-President die meistverkauften Nudeln Taiwans und behaupten sich heute mit einem Marktanteil von eindrucksvollen 18 Prozent.

Der Schlüssel zum Erfolg des Produkts war der kleine Beutel mit öliger Schweinefleischsauce. Kein Wunder, dass andere Hersteller schnell dem Beispiel folgten und außerdem eine große Zahl verschiedener Geschmacksrichtungen ausprobierten. Im Allgemeinen werden "traditionelle" Aromen wie Rindfleisch, Schweinefleisch und Meeresfrüchte leichter angenommen als einige der innovativeren Geschmacksrichtungen. Gäbe es einen Preis für entgleiste Innovation, so würde ihn wahrscheinlich die Firma erhalten, die Fertignudeln mit Pizzageschmack erfand, welche fast durchweg als abscheulich empfunden wurden.

Die Dreiminutenterrine

Manche Kunden sind bereit, importierte Ware auszuprobieren, doch die meisten Taiwaner bevorzugen das vertraute Aroma einheimischer Produkte.

Andere Innovationen waren weniger abenteuerlich. Beispiel Wei Lih Men von der Firma Wei Lih Food Co., seit dem Debüt im Jahre 1978 sehr beliebt. Um die Marke von der Konkurrenz abzuheben, führte Wei Lih die Methode "eine Packung, doppelter Genuss" ein -- ein Bratsauce-Aromabeutel für die Nudeln und ein Gewürzpäckchen mit Trockenzwiebeln für die Suppe. Mit diesem Starprodukt konnte Wei Lih sich 70 Prozent des Trockennudelmarktes sichern. Die Sauce ist so beliebt geworden, dass Wei Lih sie nun auch getrennt in Dosen anbietet.

Die Hersteller fügten den Aromabeuteln zudem Trockengemüse und Trockenfleisch hinzu, doch die taiwanischen Kunden begannen mehr zu verlangen. "Die Wirtschaft kam in Schwung, und die Menschen achteten immer mehr auf ausgewogene Ernährung", meint Wu rückblickend. "Damals waren Fertignudeln wenig mehr als Mehl, Öl und Gewürze, und sie galten als halbwegs anständiger Snack ohne Nährwert." Als Reaktion auf die Nachfrage der Verbraucher stellte Uni-President im Jahre 1983 mit Hilfe der Star-Köchin Fu Pei-mei (1931-2004) die Manhan-Nudeln vor. Zusätzlich zu den ursprünglichen Aromabeuteln und anstatt Trockenzutaten bekamen die Käufer einen weichen Beutel mit echten Zutaten, darunter saftige Fleischstücke. Mit einem Verkaufspreis von 40 NT$ bis 45 NT$ (0,88-1,00 Euro) pro Schale erreichte der Absatz der Manhan-Nudeln innerhalb eines Jahres 100 Millionen NT$ (2,2 Millionen Euro). Uni-President hat seitdem mehrere andere Geschmacksrichtungen in die Manhan-Serie aufgenommen, die weiterhin in puncto Verkaufserfolg in der Klasse "große Schalen" von Fertignudeln führend ist.

Andere Hersteller haben gleichfalls Anstrengungen unternommen, den Nährwert durch das Hinzufügen von sterilisiertem und sorgsam verpackten Fleisch und Gemüse zu verbessern. Ernährungswissenschaftler empfehlen dagegen, dass die Verbraucher nur die Hälfte des Aromabeutels verwenden, um ein Übermaß an Salz zu vermeiden, außerdem sollte man die Nudeln mit zusätzlich gekochtem Gemüse und vielleicht einem Hühnerei verspeisen, wobei frisches Obst als Nachtisch eine wertvolle Zusatzquelle für Vitamine darstellt.

Tiefverwurzelt ist bei vielen Menschen die Sorge, dass die Nudeln Konservierungsstoffe enthalten. Tatsächlich hat Taiwans Gesundheitsministerium schon im Jahre 1989 die Verwendung von Konservierungsstoffen jeglicher Art bei Fertignudeln und in ihren Aromabeuteln verboten. Wu versichert, dass die Nudeln selbst gar keine Konservierungsstoffe brauchen, da der Wassergehalt nur 3 Prozent beträgt und für ein Gedeihen von Mikroben folglich zu niedrig ist. Zur Verlangsamung des Oxidierens der Zutaten werden natürliche Antioxidantien wie Vitamin E verwendet. "Vom Verzehr von Fertignudeln kriegt man keinen Haarausfall oder verdorrt auch nicht zur Mumie", beschwichtigt er.

Allerdings gibt es auch berechtigte Sorgen. Cheng Jen-hung, Vorsitzender der Verbraucherstiftung, macht darauf aufmerksam, dass Fertignudeln, die per Frittierverfahren hergestellt wurden, einen hohen Anteil an Transfettsäuren enthalten, die wiederum mit Übergewicht in Verbindung gebracht werden, sich im Körper anreichern und außerdem das Risiko für Herzkrankheiten und Schlaganfall erhöhen. Laut Wu hat die Industrie dieses Problem bereits erkundet. Uni-President zum Beispiel hat nicht-frittierte Nudeln mit drei verschiedenen Geschmacksrichtungen auf den Markt gebracht. "Die in einem heißen Luftstrom getrockneten Nudeln enthalten weniger Fett, schmecken anders und erfüllen den Wunsch der Kunden nach gesünderen Nahrungsmitteln besser", wirbt er. "Die meisten Menschen sind jedoch zu sehr an die frittierte Variante gewöhnt, um etwas Neues auszuprobieren." Nicht-frittierte Nudeln haben derzeit einen Marktanteil von nur 5 Prozent, doch wenn Taiwan sich an Japan orientiert, wo entsprechende Produkte seit zehn Jahren im Handel sind, rechnet Wu mit einem Wachstum im Inland von weiteren zehn Prozentpunkten.

Vier Jahrzehnte Wettbewerb haben viele kleinere Mitspieler vom Markt gedrängt. Während Uni-President nach dem Erfolg mit den Schweinehacknudeln die Hälfte des Marktes kontrolliert, hält Wei Lih 20 Prozent, den Rest teilen sich Ve Wong, die Vedan Enterprises Corp. und die Tinghsin International Group. "Bei der Beliebtheit von anderen Fertiggerichten und Fastfood wird es auf Taiwans Fertignudelmarkt kein großes Wachstum mehr geben", prophezeit Wu. "Innerhalb des Gewerbes bleibt der Wettbewerb dagegen hart." Alle Hersteller stellen ständig neue Geschmacksrichtungen, Verpackungen und Werbung vor. Vor ein paar Monaten kaufte Uni-President einen 32-prozentigen Anteil von Wei Lih, um seine Palette von Trockennudeln zu erweitern und Produktionskosten zu senken. Die Hersteller wollen nicht nur ihren Anteil am Inlandsmarkt sichern, sondern entwickeln auch ausländische Märkte. Uni-President wird etwa der alleinige Lieferant von Fertignudeln bei den 29. Olympischen Sommerspielen 2008 in Beijing sein.

Während alle Branchengrößen sich auf ausländische Märkte ausdehnen, waren die Meister Kong-Nudeln aus dem Hause Tinghsin ein besonderer Fall von Heimkehr. Das Unternehmen war ursprünglich ein Speiseölfabrikant und war 1958 im zentraltaiwanischen Landkreis Changhua gegründet worden. 1988 zog die Firma nach China und begann dort vier Jahre später mit der Produktion von Fertignudeln, wobei Meister Kong schnell die beliebteste Marke wurde. Bei der Versorgung des größten Fertignudelmarktes der Erde wurde Tinghsin zum weltweit zweitgrößten Fertignudelhersteller und verkaufte 8 Milliarden Packungen im Jahr. Doch während die Hälfte der Nudeln in China über den Ladentisch gingen, beschloss Meister Kong, nach Taiwan zurückzukehren. Da die Einfuhr chinesischer Fertignudeln in Taiwan verboten war, kaufte Tinghsin 2002 eine Fabrik eines einheimischen Nahrungsmittelkonzerns und brachte seine Nudeln hier auf den Markt. Momentan hält Meister Kong ungefähr 10 Prozent des taiwanischen Marktes.

Fast ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit die erste Packung Fertignudeln hergestellt wurde. Als der gebürtige Taiwaner Momofuku Ando (安藤百福,1910-2007), der ab den dreißiger Jahren in Japan lebte, 1958 die von ihm erfundenen Fertignudeln Chikin Ramen auf dem japanischen Markt einführte, bestand sein Hauptziel darin, den Japanern eine zusätzliche Nahrungsmittelquelle bieten zu können, da Japan nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch an Ernährungsengpässen litt. Dieses Ziel wird mit dem Produkt heute nicht mehr angestrebt, aber an einem Taifuntag oder in einer durcharbeiteten langen Nacht kann das Leben mit einer Packung Fertignudeln so viel leichter sein -- einfach heißes Wasser reinschütten und drei Minuten warten, und dann guten Appetit!

(Deutsch von Tilman Aretz)

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